Wie erlebten Augenzeugen den Wiederaufbau Unterbreizbachs
Überrascht und mit Freude habe ich die zahlreichen positiven Rückmeldungen auf die Erinnerungen meines Vaters zu dem denkwürdigen 03. April 1945 zur Kenntnis genommen.
Besonders war die Tatsache, dass dieses Interesse nicht ausschließlich aus den Kreisen der Senioren, sondern auch von jungen Menschen gekommen ist, für die dieser Aspekt unserer Dorfgeschichte bislang weitgehend unbekannt war.
Gestützt auf die Unterlagen meines Vaters möchte ich eine Bilanz des Zerstörten ziehen und einen Blick auf den Wiederaufbau durch die Dorfgemeinschaft Unterbreizbach richten. Diese Betrachtung ist sicher unvollständig, doch soll sie den Mut und die Aufbauleistung der damaligen Unterbreizbacher am Ende eines für Deutschland verlorenen Krieges würdigen.
Voranstellen möchte ich einen Überblick über die im Rahmen des Dorfbrandes zerstörten Gebäude. Dies soll straßenweise erfolgen.
In Spalte A sind die zerstörten Wohnhäuser, in Spalte B die zerstörten Scheunen und in Spalte C die zerstörten Nebengebäude aufgeführt.
Gebäude mit hoher lokaler oder industrieller Bedeutung sind in einer gesonderten Tabelle mit dem Straßenbezug notiert.
Möglicherweise ist diese Übersicht nicht vollständig.
Auch hier nicht aufgeführte Wohnhäuser, Scheunen und Nebengelasse hatten ja in erheblichem Umfange durch Funken, Feuer und Rauch gelitten.
Besonders stark betroffen wurde der Bereich des Ortskerns mit Hauptstraße, Querstraße und Bachstraße.
Weitere Schwerpunkte waren die Friedhofstraße und das Lindig.
Straße
A
B
C
D
Hauptstraße 1 – 18
9
10
6
*1
Querstraße 1 – 6
3
6
3
*2
Bachstraße 1 – 5
1
4
4
Friedhofstr. / Glaamer Grund
8
8
8
Kuhhohle / Zickenberg /
0
2
1
Sommerliete / Bornecke
2
1
0
Philippsthaler Str. / Karnweg
1
4
3
*3
Lindig 1 – 15
5
3
4
Bahnhofstraße / Vachaerstraße
6
0
0
*4
Larau- / Hardtstr. / Wiesenweg
3
1
0
Pferdsdorferstraße
0
0
0
*5
Schachtstraße / Kornberg
5
0
0
*6
Kaliwerk
0
0
0
*7
Gesamtverlust
43
39
29
D
Gebäude mit besonderer Bedeutung
*1
Tischlerei Pforr
*1
Fleischerei Jacob
*1
Bäckerei Sell
*2
Saal Gastwirtschaft Querstraße 6
*3
Spritzenhaus Feuerwehr
*3
Malerwerkstatt Stephan
*4
Bäckerei Jakob
*4
Bahnhofsgebäude mit Güterschuppen
*5
Beide Schulgebäude
*5
Dreschhalle
*6
Hotel „Schlägel und Eisen“
*7
Magazin, Tischlerei
*7
Rohsalzmühle, Verladung, 40-er Fertigsalzschuppen
Ich möchte nun mit den Schilderungen meines Vaters fortfahren.
Es war ihm ein besonderes Anliegen, auf die Verdienste des damaligen Bürgermeisters beim Wiederaufbau hinzuweisen. Er schrieb dazu: „Ich möchte unserem damaligen Bürgermeister Bernhard Schäfer ein ideelles Denkmal setzen. Er nahm als noch amtierender Bürgermeister die Geschicke unseres Dorfes wie ein Kapitän, der ein leckgeschlagenes Schiff durch die Wellen des Ozeans führt, in seine Hände. Unser Heimatdorf Unterbreizbach war leckgeschlagen und durfte aber nicht versinken. Das war der Wille aller Einwohner,
Ein Mann, der kein Nazi war, sondern ein gutmütiger, freundlicher, intelligenter, weitschauender, umsichtiger und willensstarker Mensch.
Hatte er doch in seiner bisherigen Amtszeit, bis zur Zerstörung des Ortes an jenem 3. April 1945, aus Unterbreizbach ein blühendes, modernes und fortschrittliches Landwirtschafts- und Bergarbeiterdorf gemacht, dessen Bewohner für die damalige Zeit und Verhältnisse einen nicht überall zu findenden Wohlstand hatten.
Der Wiederaufbau unseres Heimatdorfes Unterbreizbach war für ihn und die Dorfbewohner eine Herausforderung.
Als erste Maßnahme wurden zur Verhinderung von Seuchenausbrüchen (es war ja mittlerweile schon merklich warm geworden) die verendeten Tiere mit Pferden aus den Ställen gezogen, auf Pferdewagen geladen und in einer langen Erdgrube im „Oberen Gemeindegraben", also weit außerhalb des Ortes, begraben.
Hier sollen wohl über 80 Kühe und Jungrinder neben den nicht gezählten Schweinen und anderem kleineren Vieh begraben worden sein.
Die Tiere, die bei der Katastrophe Körperschäden erlitten hatten, wurden in der Fleischerei Schilling in der Pferdsdorferstraße, die unbeschädigt geblieben war, geschlachtet und das Fleisch an die Unterbreizbacher Bevölkerung verkauft.
Die Bäckerei Adam SelI war vollständig zerstört und zur Notversorgung mit Brot besann man sich auf das Können meiner Mutter und unseres Hausbackofens. In diesem Backofen backte sie täglich und mitunter auch nachts Brot für die Bevölkerung, das unter der Regie von Bäckermeister Adam Sell verkauft wurde. Das Roggenmehl hierzu wurde aus den Beständen der umliegenden Mühlen in Vacha und Buttlar herbeigeholt. Nach Normalisierung der Verhältnisse im Ort erinnerten sich viele Menschen noch der guten Backkünste meiner Mutter und der 10 bis 11 Pfund schweren, knusprig glänzenden, dunkelbraunen Brotlaibe, die hungrige Münder bei Groß und Klein stopften.
Die Dorfschmiede von Ludwig Nennstiel in der Bachstraße, nur mit überaltertem Gerät und Maschinen bestückt (alte Bohrmaschine, alter Schleifbock - alles Flachriemenantrieb mittels Transmission), hatte die Katastrophe heil überstanden.
Bei Johannes Wald in der Philippsthaler Straße wurde eine zweite Schmiede eingerichtet.
Die Schreinerei von Hans Pforr, Zickenberg, war ebenfalls heilgeblieben.
Also waren doch einige Gewerke arbeitsfähig.
Die Firma Euling aus Dorndorf kam in den Saal von Ludwig Pforr („Zur Erholung") und verkaufte aus ihren geringen Lagerbeständen Kleinwerkzeuge, Schaufeln, Kreuzhacken, Nägel und Iandwirtschaftliche Geräte wie Dunggabeln, Rechen und dergleichen.
Unser Bürgermeister Schäfer erkannte, das Aufräumungsarbeiten, die Trümmerbeseitigung und der Wiederaufbau des Ortes nur mit einem gut funktionierenden Transportwesen zu bewältigen ist. Über das Landratsamt in Eisenach, wir gehörten ja damals zum Kreis Eisenach, beschaffte er von der amerikanischen Militärverwaltung 2 Stück LKW "Büssing" 7-Tonnen Pritschenwagen und 1 Stück „Opel Blitz“ 3,5-Tonnen Kipper. Möglicherweise wurden die benötigten Treibstoffe auch über die amerikanischen Militärverwaltung zugewiesen.
Von der ehemaligen „Montangesellschaft“ kam eine „Hanomag" Zugmaschine 80 PS stark, zwillingsbereift. Diese wurde getauscht für den 28 PS „Deutz“-Ackerschlepper vom Gut "Heiligenroda". Der "Deutz"-Schlepper war ein sogenannter „Schnellläufer“ und somit für Straßentransporte gut geeignet.
Wo aber nun das benötigte Baumaterial (Ziegelsteine, Ziegeln, Sand, Kies, Zement, Bauholz etc.) hernehmen und wo waren Maurer-, Zimmerei- und Holzschnittkapazitäten zu beschaffen?
Obwohl Bürgermeister Schäfer von früh bis spät auf den Beinen war, der ganze organisatorische Ablauf der Enttrümmerung und des beginnenden Wiederaufbaus lagen zwangsläufig in seinen Händen, konnte er alleine den Berg der Probleme nicht bewältigen.
Er gewann, das hiesige Kaliwerk "Sachsen-Weimar" lag ja still und konnte wegen der angerichteten Schäden nicht produzieren, den Verlademeister E. G. als Materialbeschaffer. Mit einem alten Fahrrad zog dieser von Ort zu Ort. Auf den umliegenden Bahnhöfen hielt er Ausschau nach Gegenständen, die in Unterbreizbach benötigt wurden.
Als die sowjetischen Armeen sich der deutschen Ostgrenze näherten konnten zwangsläufig die Nachschubzüge nicht mehr zu ihren Zielorten zum Beispiel in der Ukraine (die unter Hitler die Kornkammer Deutschlands werden sollte) gelangen.
So kam es, dass auf verschiedenen Bahnhöfen des näheren Territoriums (z. B. in Gerstungen, Bad Salzungen, Bebra, Eisenach) Güterzüge mit landwirtschaftlichen Maschinen und Geräten sowie Baumaterialien (Zement, Nägel und dergleichen) festlagen. In zähen Verhandlungen mit den infrage kommenden Dienststellen wurde erreicht, dass vom Bahnhof Gerstungen neben einer für damalige Zeiten hochmodernen „Stahl Lanz" Dreschmaschine noch weiteres Material offiziell den Weg nach Unterbreizbach fand.
Durch das Kriegsgeschehen bedingt, lagen die Ziegeleien und Sägewerke des Umfeldes still. Ihre Anlagen waren zum Teil auch nicht mehr produktionsfähig.
Zudem fehlten die Menschen und Spezialisten zum Bedienen der Maschinen und Aggregate. Entweder hatte sie der Krieg hinweggerafft oder sie waren noch bei den „Siegermächten“ in Gefangenschaft.
Also konnte nur auf das Arbeitskräftepotential der Frauen und Mütter, der Rentner, der Wehruntauglichen, der Jugendlichen und Kinder und der Männer die wegen Körperschäden aus der Gefangenschaft vorzeitig entlassen waren, zurückgegriffen werden.
Die nun schon mehrfach genannten Personen brachten es fertig, dass die Ringofenziegelei Philippsthal und die Ziegelei „Johanna Hartmann“ in Wenigentaft wieder produzieren konnten. So arbeiteten Unterbreizbacher Männer aIs „Ziegeleiarbeiter" in Wenigentaft und bekamen dann im Gegenzug anteilig Ziegelsteine.
Sand war aus den Gruben in Oberzella zu bekommen. Kies für Fundamente und Decken der Gebäude wurde mühsam mit Schiebkarren oder Dungwagen aus der Ulster (unterhalb der Ulsterbrücke) gewonnen.
Dabei erinnere ich mich gut der Tatsache, dass „Hofmanns-Jerre" den Deckbullen „Bolero" soweit angelernt hatte, dass dieser mit seinen 22 Zentnern Körpergewicht die Kieswagen die Ulsterböschung hinaufzog.
Hatten die Sägewerke „Johannes Ißbrücker“ in Pferdsdorf und „Heinrich Metz“ in Ransbach im näheren Umfeld die Kriegswirren so recht und schlecht überstanden, so reichten ihre Produktionskapazität und ihre Schnittholzvorräte bei weitem nicht aus, um den Unterbreizbacher BauhoIzbedarf zu decken.
Der Zimmermeister Adam Meister in Oechsen führte bis zum Jahre 1939 ein kleines Baugeschäft mit Zimmerei und Sägewerk. Bei Kriegsbeginn wurden seine wehrfähigen Leute eingezogen und der Betrieb ruhte. Hier gab es aber 2 Sägegatter, die jedoch überholungsbedürftig waren. Schäfer gewann Spezialisten, die die Aggregate wieder funktionsfähig machten. Zimmerleute und Zimmererhelfer wurden in und um Oechsen gefunden und wieder war ein Betrieb mit sehr guten Voraussetzungen produktionsbereit.
Über die zuständigen Förstereien wurden die bereits geschlagenen oder noch zu fällenden Bauholzmengen zum Schnitt freigegeben.
Das Rücken des Holzes aus den Wäldern wurde mittels Pferden oder den erwähnten Traktoren erledigt. Den Weitertransport zu den Sägewerken übernahmen dann die LKW´s.
Rund um die Uhr, also in 3 Schichten, liefen nun die Gatter und Kreissägen der Sägewerke.
Von Tagesgrauen bis zur Dämmerung wurde gezimmert.
Zwischenzeitlich waren nun schon in verschiedenen Hofreiten die gröbsten Aufräumungsarbeiten beendet. Der angefallene Schutt und Abraum wurde mittels der früher erwähnten Fahrzeuge, jedoch auch mit eigenen Pferde- und Kuhwagen (alIe jedoch eisenbereift), in den „Schindgraben" gefüllt.
Jede Familie, die ihr Wohnhaus verloren hatte, richtete sich in ihrem Anwesen, wo möglich, eine Not- oder Behelfsunterkunft ein oder fand Aufnahme bei Verwandten oder Bekannten.
So konnte man abends sehen, dass sich manche Familie über eine Stehleiter zu ihrer „Bettstatt" (Schlafzimmer war wohl noch ein Traum) begab.
Die Kühe und Kälber wurden ebenso notdürftig untergebracht.
Hin und wieder fehlte für die Schweine ein Domizil und ein lautes Quieken außerhalb der Fütterzeit zeugte davon, dass eine "Jolante" zum Wohle ihrer Besitzer das Leben lassen musste.
Für den Neuaufbau der Hofreiten und Wohnhäuser mussten auch zeichnerische Unterlagen erstellt werden. Hier wurden neben dem hiesigen Maurer- und Zimmermeister Heinrich Kropf auch dessen Schwiegersöhne Otto Wittich und Schwarz tätig. Der auf dem hiesigen Schacht tätige Architekt Gustav Harnisch wurde gleichfalls in Anspruch genommen.
„Kleinere Vorhaben" fanden ihren „Architekten“ in einem erfahrenen Maurer, Tischler oder Zimmermann. Auch auswärtige Spezialisten wurden bemüht.
Sprichwörtlicher „Bienenfleiß" herrschte nun in unserem Ort.
Die Dorfbewohner, die aus alter Zeit fast immer „gut Freund" und selten „Feind" waren, packten gemeinsam zu.
Einer half dem anderen bei den anfallenden Arbeiten oder entstehenden Problemen. Es wurde freundschaftlich geteilt, gegeben und genommen.
Es war schon mit Genugtuung zu vermerken, wenn die „Büssings“, der „Opel-Blitz" oder gar die „Hanomag-Zugmaschine", den Anhänger hochbeladen mit „abgebundenem Bauholz" oder anderem Baumaterial, durch die Straßen von Unterbreizbach zu ihren Bedarfsträgern fuhren.
Hie und da thronte ein kleines Tannenbäumchen auf der Firstpfette einer Scheune oder eines Wohnhauses und zeugte davon, dass es in Unterbreizbach wieder ein Stückchen „aufwärts" gegangen war.
Probleme gab es generell bei der Beschaffung von Dachziegeln. Die Eisenacher Ziegelei, die als einzige weit und breit Dachziegeln herstellen konnte, hatte keine Kohlen für den Ziegelbrand.
Von den Kasernen der ehemaligen deutschen Wehrmacht in Eisenach sollten die Biberschwanzziegel vor der Sprengung der Gebäude abgedeckt und in Unterbreizbach wieder eingedeckt werden. Das Genehmigungsverfahren durch die amtlichen Stellen verzögerte sich aber.
Nun war guter Rat teuer. Bürgermeister Schäfer fand aber auch hier einen Weg. Die Baulichkeiten, die „gerichtet" waren, wurden ziegelgerecht mit Dachlatten versehen, in Sparrenflucht wurden ca. 10 cm breite Bretter im Sparrenabstand aufgenagelt und Dachpappe, die er irgendwo in größeren Mengen beschafft hatte, aufgebracht und mit aufgenagelten dünnen Leisten gesichert.
Ein Notbehelf, aber die Heuernte stand vor der Tür und das Heu beanspruchte ja einen trockenen Lagerplatz.
Wie gestalteten sich nun die Aufräumungs- und Wiederaufbauarbeiten in unserer Hofreite?
Bereits 1942 mussten wir nach einem Brandereignis die vorhandene Scheune von Grund auf neu errichten.
Diese moderne Scheune war jetzt völlig ausgebrannt, alle Heu- und Strohvorräte, die gesamte Holzkonstruktion des Gebäudes sowie Fenster und Türen waren vernichtet.
Der Dachziegelschutt lag auf der Tenne, im Futterstütz und im Kuh- und Jungviehstall.
Zwischen diesen Schutthaufen lag der herabgestürzte Heuaufzug mit den Laufschienen. Eine moderne „Schlägelschrotmühle" stand ebenso wie der Elektromotor, Transmission und die Heuaufzugwinde ausgeglüht auf seinem Platz. Die 3 Breitflanschträger, die querseitig die Holzkonstruktion des Kuhstalles trugen, hatten sich wie "Flitzebogen" durch die Hitze verformt.
Nur die 1942 aus Ziegelsteinen gemauerten Umfassungs- und Innenmauern der Scheune hatten den Flammen getrotzt.
Das Giebelmauerwerk zu Nachbar Adler hingegen war in seiner ganzen Größe auf dessen Gartengrundstück gestürzt. Diese Mauersteine wurden dann später vom anhafteten Mörtel gereinigt und von Onkel "Lingehänse-Hans" zum Giebel wieder hochgemauert.
Das Bauholz für uns (und auch das für meinen uns benachbarten Onkel) wurde im Sägewerk Meister in Oechsen geschnitten und vorgezimmert. Ebenso wurden von dort die erforderlichen Bretter und Dachlatten geliefert.
Hier möchte ich einen Vorfall erwähnen, der gerade noch einmal für die Beteiligten mehr oder weniger glimpflich ausgegangen war.
Mit der Hanomag-Zugmaschine sollte in Oechsen Bauholz geholt werden. Neben meinem Großvater waren auch eine meiner Schwestern und eine Cousine zur Hilfe mitgefahren.
Auf der Gefällestrecke unterhalb Oechsens konnten auf dem Nachhauseweg die Bremsen des Fahrzeuges die Last nicht mehr halten und der vielleicht überladene Anhänger schob die Zugmaschine seitwärts auf einen Acker.
Der Fahrer rief den Dreien, die auf dem Bauholz obenauf saßen, „Abspringen!" zu. Alle drei sprangen ohne Zögern und Diskussion und Gott sei Dank, auf der richtigen Seite ab. Dabei kam aber meine Schwester so unglücklich zu Fall, dass sie tagelang das Bett hüten musste. Schmerzen begleiteten sie noch lange danach.
Nachdem nun das erforderliche Bauholz für beide Scheunen angefahren war, stellten "Meisters Zimmerleute" die Holzkonstruktionen auf.
Nach Fertigstellung wurde traditionsgemäß das „Richtbäumchen" an die Firstpfette genagelt und wie vor 3 Jahren wurde wiederum ein kleines gemeinsames Richtfest in unserer „Großen Stube“ begangen.
Die guten Wünsche des Richtspruches beim ersten Richtfest der Scheune hatten leider nur kurzen Bestand.
Die guten Wünsche für Haus und Hof beim zweiten Richtfest haben mittlerweile schon Jahrzehnte Bestand und wir wollen um Gottes Segen bitten, dass Haus und Hof und vor allern seine jetzt Iebenden Bewohner von Feuer, Krankheit, Not und frühem Tod verschont bleiben.
Die Dachhaut unserer Scheune wurde, wie geschildert, aus Dachpappe erstellt. Die Früchte unserer Wiesen und Felder konnten nun wieder ihren trockenen Lagerplatz finden.
Im Kuh- und Jungviehstall wurde die notwendige Inneneinrichtung wieder installiert und das Leben in Haus und Hof und auf Wiesen und Feldern normalisierte sich, soweit nach dem schrecklichen Krieg und den Ereignissen in Unterbreizbach möglich, allmählich wieder.“
Hier enden die Aufzeichnungen meines Vaters zum Thema „Wiederaufbau Unterbreizbach 1945“.
Ich möchte zur Ergänzung des vorgenannten noch ein paar Bilder und Unterlagen aus dem Besitz der Familie beifügen:
· Bild der Scheune im Rohbau
· Bild von den Gründungsarbeiten der Scheune
Beide Bilder stammen vom Bau der im Jahre 1942 errichteten, baugleichen Vorgängerscheune. 1945 war der Besitz von Fotoapparaten verboten, da bei Zuwiederhandeln drakonische Strafen drohten.
· Kopie von Rechnungen der Zimmerei Meister, des Sägewerkes Unterbreizbach und des Baugeschäftes Kropf
· Kopie der Rechnung für das Eindecken des Scheunendaches mit Dachpappe durch die Dachdeckerei C.C. Körber 1945
· Kopie der Rechnung für das Eindecken des Scheunendaches mit Dachziegeln durch die Dachdeckerei C.C. Körber 1947
· Der Freistaat Thüringen ermöglicht den Download Offener Geodaten: https://geoportal.thueringen.de/gdi-th/download-offene-geodaten. Die hier für Unterbreizbach vorliegenden historischen amerikanischen Luftbilder aus März und Juli 1945 vermitteln einen Eindruck von den in diesem Zeitraum im Ort erfolgten Veränderungen.
Das Leben änderte sich weiter für die Unterbreizbacher im Jahre 1945.
Aufgrund der Vereinbarungen der „Siegermächte“ endete die US-Besatzung im Juli 1945 in Thüringen und damit auch in Unterbreizbach. Vom 01. – 03.07.1945 zogen die US-Boys aus Unterbreizbach ab, am 04.07.1945 kam die erste Gruppe sowjetischer Soldaten nach Unterbreizbach. Damit begann ein neues Kapitel nicht nur für die Unterbreizbacher, sondern auch für ihre in Hessen wohnenden Nachbarn.
Die Verwaltung des Ortes wurde neu geordnet, der Bürgermeister trotz seiner Verdienste abgesetzt und die Führung der Amtsgeschäfte durch einen sogenannten „Antifa-Ausschuss“ aus Kommunisten und Sozialdemokraten wahrgenommen.
Die zerstörten Gewerbebetriebe nahmen ihre Arbeit wieder auf. Als Beispiel hierfür die Metzgerei August Jacob. Hier erfolgte am 03.10.1945 die erste Schlachtung im wiederaufgebauten Schlachthaus am Ort.
Im November 1945 wurde auch mit dem Wiederaufbau der zerstörten Anlagen des Kaliwerkes begonnen und am 01.09.1946 konnte der nunmehr unter sowjetischer Verwaltung stehende Betrieb seine Produktion wiederaufnehmen. Ein damals und auch heute wichtiger Arbeitgeber für Ort und Region.
Ich hoffe, dass diese persönlichen Erinnerungen Informationen über einen Teil der Ortsgeschichte geben konnte, der bislang wenig betrachtet wurde.
Die in diesem Jahr 1945 erfolgten Bauarbeiten prägen in großem Umfange auch heute noch das Bild und den Charakter unseres Ortes.
Wolfgang Mahret
18.06.2025